AGRA unterstützt die Radioretter

Die AGRA verfolgt die gegenwärtige Debatte um die künftige Entwicklung von WDR 3 mit Interesse und warnt davor, eine Reformdebatte überwiegend an der Quote auszurichten. Gerade Kulturwellen erfüllen in besonderem Maße die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Medium und Faktor der freien Meinungsbildung zu sein.

Wie schon in der Bremer Erklärung ausgeführt, verfolgt die AGRA die Tendenz, Fachredaktionen aufzulösen, mit Sorge. Die AGRA tritt dafür ein, die Redakteure intensiv und von Anfang an in Reformprozesse einzubeziehen.

Zustimmend registriert die AGRA die große Resonanz auf die Initiative für Kultur im Rundfunk in dem mehr als 15.000 Unterzeichner den Offenen Brief gegen die geplante Programmreform von WDR 3 unterstützen. In dieser Reform sehen die Unterzeichner einen Abbau von kulturellen Inhalten, mit dem ein vermuteter Publikumsgeschmack bedient werden soll. Das Ausmaß der Empörung deutet in unseren Augen auf einen wachsenden Unmut mit der generellen Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hin. Wir werten den breiten Protest als Ausdruck dafür, dass die Bedeutung öffentlich-rechtlicher Programme auch bundesweit unvermindert besteht und sogar wieder wachsen dürfte.

Wir halten es für notwendig, die um den WDR begonnene Diskussion auch in den anderen Sendeanstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufzugreifen und fortzuführen. Sie könnte Lähmungen und Blockaden überwinden helfen, unter denen die Sender offenkundig leiden.

Aus diesem Grund fordern wir Intendanz und Hörfunkdirektion des Westdeutschen Rundfunks zunächst auf, den beabsichtigten Reformprozess von WDR 3 bis auf Weiteres ruhen zu lassen. Nur so kann die große Chance wahrgenommen werden, eine offenbar notwendig gewordene öffentliche und senderinterne Diskussion um die Zukunft der Programme konstruktiv zu führen.

Verhandlung über die Tagesschau-App

Appell an die Intendantinnen und Intendanten

Auf Bitten des Landgerichts Köln verhandeln die ARD und acht Zeitungsverlage über die „tagesschau-App“ und damit über Inhalt und Ausmaß öffentlich-rechtlicher Informationsangebote im Internet. Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA) misst dem Ausgang dieser Verhandlungen eine entscheidende Bedeutung für die künftige Relevanz öffentlich-rechtlicher Rundfunkprogramme bei. Die AGRA fordert deshalb die Intendantinnen und Intendanten auf, sich eindeutig hinter „tagesschau.de“ zu stellen und keinem Kompromiss zuzustimmen, der die Zukunft von ARD und ZDF im Internet gefährdet. Heute berichten verschiedene Medien über die Beratungen der Intendantinnen und Intendanten der ARD über mediale Grenzen im Internet. Am 30.01.2012 nachdem die TAZ über den Entwurf einer gemeinsamen Absichtserklärung berichtet hatte, richtete die AGRA einen Appell an die Intendantinnen und Intendanten, den wir hier im Wortlaut dokumentieren.

Die Qualität des öffentlich rechtlichen Medienangebots hängt maßgeblich mit den Entwicklungsmöglichkeiten im Internet zusammen. Den Eigentümern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, also den Gebührenzahlern, sind Bildung, Unterhaltung, Kultur und Information ohne Einschränkungen auch online zu vermitteln. Das ergibt sich zwingend aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkgebührenfestsetzung vom 11. September 2007.

Im Mittelpunkt der Klage steht der Begriff der „Presseähnlichkeit“, mit dem die Verleger seit Jahren gegen öffentlich-rechtliche Online-Angebote agitieren. Der Begriff ist auch nach dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag von 2009 irreführend geblieben.

Irreführend vor allem, weil hier ein neues Medium in die Kategorien eines Alten einsortiert werden soll. Tatsächlich aber sind die Inhalte, die ARD und ZDF produzieren, längst multimedialer Natur. Texte, Bilder, Videos, Audios, Musik, interaktive Elemente und die Einordnung in soziale Netzwerke ergänzen sich online. Das entspricht auch unserer Produktionsweise: sie ist in unseren Anstalten längst crossmedial organisiert. Es wäre unserer Meinung nach falsch, die „Presseähnlichkeit“, also letztlich den Anteil von Text am Gesamtwerk, im Vorhinein festzulegen. Dieser Anteil muss sich aus der Art des Ereignisses ergeben, über das multimedial berichtet wird.

Die AGRA hält es für dringend geboten, den Begriff der „Presseähnlichkeit“ notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht zu klären. ARD und ZDF dürfen nicht zulassen, dass ihnen das höchstrichterlich zugebilligte Recht auf Entwicklung im Internet durch die Hintertür wieder genommen wird.

Wir können heute in Deutschland auf öffentlich-rechtliche Angebote von hervorragender Qualität blicken. Zahlreiche öffentlich-rechtliche Produktionen haben Auszeichnungen wie den „Grimme Online Award“ bekommen: Etwa die multimediale Vernetzung von DRadio Wissen, das „Wunder von Leipzig“ von MDR und ARTE, das „Parlameter“ des ZDF, das SWR Kindernetz oder das Tagesschau-Blog.

Die verschiedenen Medientypen werden auch durch die Apps für mobile Geräte enger miteinander verzahnt. Diese Entwicklung ist für die öffentlich-rechtlichen Redakteursvertretungen ein Fortschritt für die Meinungsbildung. Eine weitere Beschneidung der Internetauftritte und mobilen Angebote von ARD und ZDF wäre also auch eine Beschneidung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags insgesamt.

Beim Text-Angebot von „tagesschau.de“ handelt es sich in der Regel um die redaktionell bearbeitete Verschriftung von Audio-Beiträgen der ARD-Korrespondenten. Dies aufzugeben käme einer Enteignung der Gebührenzahler gleich.

Über mobile Endgeräte nutzt heute ein großer Teil gerade der jüngeren Rezipienten die Inhalte von ARD und ZDF. Auf die online-Verbreitung dieser Inhalte in Form der Apps zu verzichten hieße, auch einen beträchtlichen Teil der Zuschauer von morgen zu verlieren.

Stärker als die TV- und Radio-Märkte ist der Online-Markt bestimmt vom Faktor Schnelligkeit. Müssten ARD und ZDF immer warten, bis Audio- oder Video-Inhalte zu aktuellen Ereignissen angeboten werden, würden ihre Seiten nicht mehr den gängigen Erwartungen der Nutzer und ihres Umfeldes gerecht werden. Auch eine Aktualisierung bestehender Meldungen wäre nicht mehr vom tatsächlichen Geschehen diktiert, sondern von den Sendezeiten der TV- und Radioprogramme.

Wir glauben, dass viele der Themen unserer Berichterstattung auf einem rein kommerziell organisierten Markt nicht oder nur in ganz anderer Form vorkämen.

Als Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse fordern wir deshalb die Intendantinnen und Intendanten auf, sich eindeutig zu „tagesschau.de“ in seiner jetzigen Form zu bekennen und jeden Vorstoß zurückzuweisen, der die Angebote von ARD und ZDF im Internet beschränken würde.

Bremer Erklärung

Auf dem letzten Treffen der „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse“ (AGRA) am 10./11.November in Bremen haben wir RedakteuInnen u.a. über veränderte Arbeitsbedingungen in den einzelnen Sendern berichtet. Immer mehr Programm soll in immer kürzerer Zeit von den KollegInnen produziert werden – darunter leidet häufig die Qualität der Produkte. In diesem Sinne haben wir die „Bremer Erklärung“ an die Intendantinnen und Intendanten gerichtet.

Die AGRA sieht die Tendenz, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Kompetenz in der Berichterstattung verlieren, wenn es ihnen nicht gelingt, bei knapper werdenden Mitteln ihre Qualität zu sichern.

Uns sind dabei folgende Punkte wichtig:

1. Unsere Reputation ist davon abhängig, dass weiterhin Fachredakteure zu Gerichtsverhandlungen, Kongressen, Pressekonferenzen gehen und dort qualifizierte Fragen stellen, um komplexe Vorgänge einordnen zu können. Wir hören aber, dass ausscheidende Fachredakteure manchmal nicht ersetzt werden und Fachredaktionen abgeschafft werden. Wir wünschen, dass Fachwissen erhalten und gefördert wird. Die Aus- und Fortbildung muss unterstützt werden, feste und freie Fachredakteure müssen auch dafür bezahlt werden, dass sie am Thema dranbleiben, um Kompetenz zu erhalten und Kontakte zu pflegen – nicht nur für die aktuelle Berichterstattung. Erfolg versprechend können auch Fachsendeflächen sein. Es ist belegt, dass diese über das Internet viele neue Nutzer gewinnen. Wir schlagen vor, dass unter den Freien und festen Redakteuren Fachleute identifiziert und gefördert werden und dass ihr Wissen mehr genutzt wird.

Wir unterstützen positive Ansätze wie den Aufbau von Recherchepools. Nur so können die Sender über den Terminjournalismus hinaus eigene Themen setzen.

2. Viele Freie bekommen Recherchetage und Reisen häufig nicht bezahlt. Des Weiteren sollen sie neben ihrer Autorentätigkeit mehr Ausspielwege bedienen, selber aufnehmen, drehen und schneiden. Dafür werden sie aber oftmals nicht gesondert honoriert.

Freie Mitarbeiter und fest angestellte Redakteure arbeiten immer häufiger als Generalisten. Die Gefahr besteht, dass sie dann komplexe Themen nicht mehr einschätzen können. Sie sind leichter zu beeinflussen von Lobbyisten. Sie laufen Gefahr, gerade unter Zeitdruck, Pressemeldungen und PR-Infos ungeprüft zu übernehmen.

Unter diesem Druck ist es schwierig, hochwertige Produkte zu erstellen. Die Folgen der Arbeitsverdichtung gelten auch für Festangestellte.

3. Redaktionsvolontäre berichten, dass in der Ausbildung technische Aspekte und die Beherrschung von Aufnahme- und Ausspielformen immer mehr Raum einnehmen. Das gehe zu Lasten inhaltlicher Aspekte wie Darstellungsformen, Dramaturgie, Interviewtechniken etc.

Natürlich ist es wichtig, alle neuen Ausspielwege zu erschließen, um die Zuschauer, Hörer, User dort abzuholen, wo sie sind. Aber das journalistische Handwerk sollte an erster Stelle stehen.

Sendeflächen müssen mit guten Inhalten gefüllt werden. Gerade in einer komplexer werdenden Medienwelt setzt sich nur Qualität durch. In einer komplexen, unübersichtlichen Welt suchen die Menschen nach Einordnung und Erklärung durch kompetente Journalisten.

4. Wir beobachten den Zwang, immer mehr Programm zu füllen und hören, dass Redakteure keine Zeit mehr haben, die Inhalte mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen.

5. Durch die Tendenz, mit weniger Mitarbeitern mehr Programm zu füllen, geht häufig der innerbetriebliche Austausch verloren (Job Rotation). Wir fordern die Intendantinnen und Intendanten auf, solche Möglichkeiten zu erhalten und zu fördern. Nach unserer Erfahrung erweitern sie den Horizont und verbessern die multimediale Zusammenarbeit. Perspektivwechsel erhöhen die Motivation und führen zu messbar besseren Ergebnissen.

Die Existenzgrundlage der öffentlich-rechtlichen Sender darf nicht aufs Spiel gesetzt werden: Qualität ist das beste Argument fürs Überleben. Nur die öffentlich-rechtlichen Sender können aufwändig recherchierte Inhalte liefern, die die Gebührengelder rechtfertigen. Die inhaltliche Qualität ist das dauerhafte Unterscheidungsmerkmal.

Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse bietet sich den Intendantinnen und Intendanten für einen Austausch über die Qualitätssicherung an.

Bremen, 11. November 2011

Stellungnahmen:

Das ist ja nochmal gut gegangen!

Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA) erneuert ihre Forderung nach mehr Zurückhaltung der Politik gegenüber ARD und ZDF.

Die heutige Intendantenkür ist für die Sächsische Staatskanzlei und ihren Wunschkandidaten Bernd Hilder gründlich daneben gegangen. Neben dem gescheiterten Kandidaten ärgern sich nun wohl auch Parteistrategen wie Johannes Beermann, Chef der Sächsischen Staatskanzlei, Mitglied des ZDF-Fernsehrats und Medienpolitik-Koordinator der CDU-geführten Länder. Er hatte Hilder bis zuletzt massiv unterstützt.

Für die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA) zeigt sich einmal mehr, dass der staatliche Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu einem Problem geworden ist, über das die Öffentlichkeit nicht hinweg sehen darf. Denn nicht immer verfehlen die Parteitaktiker ihre Ziele. Wir erinnern uns: Vor nicht einmal zwei Jahren scheiterte der damalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender am staatsnah dominierten Verwaltungsrat, obwohl ihn sein eigener Intendant zur Wahl empfohlen hatte. Die darauf erhobene Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht wird von der AGRA voll und ganz unterstützt.

Wir rufen den MDR-Rundfunkrat auf, einen wirklich unabhängigen und fachlich kompetenten Kandidaten zu wählen. Die zurückliegenden Skandale und Fehlentwicklungen des Senders müssen glaubwürdig bewältigt und neue Chancen erschlossen werden. Mit dieser Aufgabe parteipolitisch umzugehen, würde dem MDR nachhaltigen Schaden zufügen.

In diesem Zusammenhang unterstreicht die AGRA abermals die Bedeutung gesetzlich verankerter Redaktionsstatute. Sie sind ein wichtiger Garant der redaktionellen und programmlichen Unhabhängigkeit der Sender. Den parteipolitischen Kreisen rund um den MDR erscheint eine solche Institution allerdings bis heute verzichtbar.

Saarbrücker Erklärung

Erklärung der AGRA zu Digitalisierung und Vernetzung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Digitalisierung und Vernetzung stellen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten vor neue Herausforderungen. Die AGRA bekennt sich zu einer stärkeren Vernetzung von Fernsehen, Hörfunk und Multimedia. Ein Inseldenken einzelner Medien und Redaktionen ist im digitalen Zeitalter nicht mehr zeitgemäß. Die neue Technologie bringt, klug genutzt, Effizienz und stärkeres publizistisches Gewicht nicht nur für einzelne Formate, sondern für Sender als Ganzes.

Die Entwicklung erreicht eine neue Dimension, wenn Material über Produktionsserver vor der ersten Publikation unmittelbar für die Verwendung in anderen Medien und Formaten zur Verfügung steht. Arbeitsabläufe verändern sich. Neue Synergien werden möglich. Die AGRA, die Arbeitsgemeinschaft der Redakteursvertretungen bei ARD, ZDF und Deutschlandradio, warnt aber auch vor Gefahren für einen qualitätsbewussten Journalismus. Die Reflexion über einen verantwortungsbewussten Umgang mit den Möglichkeiten muss mit der technischen Entwicklung mithalten.

Die AGRA warnt vor einer fortschreitenden „Bearbeiterkultur“, in der aus Spargründen immer weniger Reporter recherchieren und Material beschaffen, das von immer mehr Bearbeiterpools weiter „formatiert“ wird. Diese Entwicklung geht auf Kosten von Kompetenz und journalistischer Vielfalt.

Beim Zugriff auf Material muss das Urheberrecht respektiert werden. Es gilt der Grundsatz: Urheber sind die besseren Bearbeiter. Besonders die Interessen der freien Mitarbeiter müssen beachtet werden.

Die AGRA fordert, dass besonders schützenswertes Material für den allgemeinen Zugriff gesperrt werden kann. Urheber sollten die Möglichkeit haben, bei der Erfassung ihres Materials Begleitnotizen beizufügen, wie etwa die Bitte um Benachrichtigung sowie wichtige Hinweise etwa zum Zusammenhang von Statements oder besonderen Vereinbarungen zum Sendetermin.

Eine Publikation von zentral vorliegendem Material ohne Absprache darf nicht erfolgen. Der Urheber muss informiert werden. Eine Vorabveröffentlichung setzt eine Vereinbarung zwischen den beteiligten Redaktionen voraus.

Ein verbindlicher Verhaltenskodex sollte zeitnah in allen öffentlich-rechtlichen Anstalten erarbeitet werden. Dies sollte im Dialog mit Personalräten und Redakteursvertretungen geschehen. Dabei soll auch nach Möglichkeiten gesucht werden, wie die Einhaltung des Kodex nachhaltig überwacht werden kann.

Münchener Beschluss

Die Programmmitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben auf ihrer turnusmäßigen Tagung in München am 12. Mai 2009 von den Intendanten klar nachvollziehbare Strategien als Reaktion auf die immer knapper werdenden Finanzmittel eingefordert. An Stelle von oft willkürlich erscheinenden Maßnahmen müssen Konzepte mit Perspektive und Prioritäten treten; Einschnitte ins Programmangebot dürfen den öffentlich-rechtlichen Auftrag nicht angreifen.
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