Bremer Erklärung

Auf dem letzten Treffen der „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse“ (AGRA) am 10./11.November in Bremen haben wir RedakteuInnen u.a. über veränderte Arbeitsbedingungen in den einzelnen Sendern berichtet. Immer mehr Programm soll in immer kürzerer Zeit von den KollegInnen produziert werden – darunter leidet häufig die Qualität der Produkte. In diesem Sinne haben wir die „Bremer Erklärung“ an die Intendantinnen und Intendanten gerichtet.

Die AGRA sieht die Tendenz, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Kompetenz in der Berichterstattung verlieren, wenn es ihnen nicht gelingt, bei knapper werdenden Mitteln ihre Qualität zu sichern.

Uns sind dabei folgende Punkte wichtig:

1. Unsere Reputation ist davon abhängig, dass weiterhin Fachredakteure zu Gerichtsverhandlungen, Kongressen, Pressekonferenzen gehen und dort qualifizierte Fragen stellen, um komplexe Vorgänge einordnen zu können. Wir hören aber, dass ausscheidende Fachredakteure manchmal nicht ersetzt werden und Fachredaktionen abgeschafft werden. Wir wünschen, dass Fachwissen erhalten und gefördert wird. Die Aus- und Fortbildung muss unterstützt werden, feste und freie Fachredakteure müssen auch dafür bezahlt werden, dass sie am Thema dranbleiben, um Kompetenz zu erhalten und Kontakte zu pflegen – nicht nur für die aktuelle Berichterstattung. Erfolg versprechend können auch Fachsendeflächen sein. Es ist belegt, dass diese über das Internet viele neue Nutzer gewinnen. Wir schlagen vor, dass unter den Freien und festen Redakteuren Fachleute identifiziert und gefördert werden und dass ihr Wissen mehr genutzt wird.

Wir unterstützen positive Ansätze wie den Aufbau von Recherchepools. Nur so können die Sender über den Terminjournalismus hinaus eigene Themen setzen.

2. Viele Freie bekommen Recherchetage und Reisen häufig nicht bezahlt. Des Weiteren sollen sie neben ihrer Autorentätigkeit mehr Ausspielwege bedienen, selber aufnehmen, drehen und schneiden. Dafür werden sie aber oftmals nicht gesondert honoriert.

Freie Mitarbeiter und fest angestellte Redakteure arbeiten immer häufiger als Generalisten. Die Gefahr besteht, dass sie dann komplexe Themen nicht mehr einschätzen können. Sie sind leichter zu beeinflussen von Lobbyisten. Sie laufen Gefahr, gerade unter Zeitdruck, Pressemeldungen und PR-Infos ungeprüft zu übernehmen.

Unter diesem Druck ist es schwierig, hochwertige Produkte zu erstellen. Die Folgen der Arbeitsverdichtung gelten auch für Festangestellte.

3. Redaktionsvolontäre berichten, dass in der Ausbildung technische Aspekte und die Beherrschung von Aufnahme- und Ausspielformen immer mehr Raum einnehmen. Das gehe zu Lasten inhaltlicher Aspekte wie Darstellungsformen, Dramaturgie, Interviewtechniken etc.

Natürlich ist es wichtig, alle neuen Ausspielwege zu erschließen, um die Zuschauer, Hörer, User dort abzuholen, wo sie sind. Aber das journalistische Handwerk sollte an erster Stelle stehen.

Sendeflächen müssen mit guten Inhalten gefüllt werden. Gerade in einer komplexer werdenden Medienwelt setzt sich nur Qualität durch. In einer komplexen, unübersichtlichen Welt suchen die Menschen nach Einordnung und Erklärung durch kompetente Journalisten.

4. Wir beobachten den Zwang, immer mehr Programm zu füllen und hören, dass Redakteure keine Zeit mehr haben, die Inhalte mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen.

5. Durch die Tendenz, mit weniger Mitarbeitern mehr Programm zu füllen, geht häufig der innerbetriebliche Austausch verloren (Job Rotation). Wir fordern die Intendantinnen und Intendanten auf, solche Möglichkeiten zu erhalten und zu fördern. Nach unserer Erfahrung erweitern sie den Horizont und verbessern die multimediale Zusammenarbeit. Perspektivwechsel erhöhen die Motivation und führen zu messbar besseren Ergebnissen.

Die Existenzgrundlage der öffentlich-rechtlichen Sender darf nicht aufs Spiel gesetzt werden: Qualität ist das beste Argument fürs Überleben. Nur die öffentlich-rechtlichen Sender können aufwändig recherchierte Inhalte liefern, die die Gebührengelder rechtfertigen. Die inhaltliche Qualität ist das dauerhafte Unterscheidungsmerkmal.

Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse bietet sich den Intendantinnen und Intendanten für einen Austausch über die Qualitätssicherung an.

Bremen, 11. November 2011

Stellungnahmen:

AGRA-Tagung in Köln

Georg Berg (WDR) und Franziska Hofmann (ZDF) gewählt

Teilnehmer der AGRA-Tagung mit den Sprechern Franziska Hofmann (6. von links) und Georg Berg (2. von rechts)

„In Zeiten verflachter Hierarchien und Inhalte sehen sich die Redakteursvertretungen mehr und mehr bei der Qualitätssicherung gefordert“, hieß es heute auf der jüngsten Tagung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse, kurz AGRA. Teilnehmer aus fast allen ARD-Anstalten, dem ZDF, Dradio und Deutsche Welle waren zusammengekommen, um sich über ihre Arbeit und aktuelle Probleme auszutauschen. Auf der Tagesordnung standen unter anderem jüngste Einsparungs- und Kürzungsvorhaben, aktuelle Programmentwicklungen und anstehende Konflikte in den einzelnen Häusern. Das Interesse war groß, denn trotz übereinstimmender Interessen gestaltet sich die Arbeit der Redakteursvertreterinnen und -vertreter sehr unterschiedlich. So arbeiten z.B. in manchen Anstalten freie Mitarbeiter direkt in den Gremien mit, in anderen sind es ausschließlich die fest angestellten Redakteure. „Hinzu kommt, dass das ZDF, der BR, der MDR und der SWR noch überhaupt kein offizielles Redakteursstatut haben“, kritisiert der als Sprecher wiedergewählte Georg Berg (WDR) die gegenwärtigen Verhältnisse. Er und Franziska Hofmann (ZDF) werden in den kommenden zwei Jahren das Sprecheramt ausfüllen, dem vor allem koordinierende Aufgaben zukommen.

Reaktionen auf die Saarbrücker Erklärung

Auf die Saarbrücker Erklärung der AGRA gab es drei Reaktionen.

  1. Der Personalratsvorsitzende von Radio Bremen, Bernd Graul, weist darauf hin, dass der in der Erklärung so genannte Dialog zu einem Trialog fortentwickelt werden sollte, da einige Regelungen tariflicher Abmachungen bedürfen.
  2. Der ARD-Vorsitzende Peter Boudgust (SWR) schrieb per Mail, der er den „Leitfaden Rohmaterial und ungesendetes Material“ als PDF beifügte:

    Sehr geehrter Herr Berg,
    für die Übermittlung der Saarbrücker Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse danke ich und möchte Ihnen hierauf, auch im Namen meiner Amtskolleginnen und -kollegen wie folgt antworten.

    Ich habe große Sympathie für Ihren Standpunkt, dass die Chancen einer stärkeren Vernetzung unserer Ausspielwege genutzt werden müssen, ohne dass dabei die journalistische Qualität unserer Angebote leidet. Es muss ja das Interesse und Ziel einer solchen Vernetzung sein, dass das Angebot verbessert und nicht verschlechtert wird.

    Ich stimme mit Ihnen auch darin überein, dass aus der technischen Verfügbarkeit des Materials nicht hergeleitet werden darf, dass andere Autoren sich hier schrankenlos für eigene Beiträge bedienen können. Soweit Sie allerdings aus dem Urheberrecht ein Recht des ersten Bearbeiterzugriffs und ein Bestimmungsrecht für denjenigen fordern, der das Material recherchiert hat, muss ich Ihnen widersprechen. Niemand soll unter Berufung auf seine Urheberschaft verbieten dürfen, dass die von ihm recherchierten Informationen oder aufgenommenen O-Töne durch andere Kolleginnen und Kollegen in einem anderen Programm gesendet werden. Das Material und die daran bestehenden Rechte einschließlich der Bearbeitung gehören der Rundfunkanstalt und nicht (mehr) dem Urheber oder der Redaktion, der er angehört. Es ist nicht mehr zu vertreten, dass mehrere Reporterteams dieselbe Arbeit machen oder dass Informationen nicht rechtzeitig über den Sender gehen, weil im Sender vorhandenes Material nicht entsprechend genutzt wird. Material muss zwischen den Redaktionen intensiv ausgetauscht und auf allen Sendeplätzen gespielt werden, auf denen es benötigt wird. Aber das stellen Sie ja gar nicht in Frage, sondern fordern verbindliche Spielregeln für die Übernahme. Und hier bin ich wieder bei Ihnen.

    Ich darf darauf verweisen, dass es z.B. im SWR bereits seit dem Jahr 2007 einen verbindlichen „Leitfaden zum Umgang mit Rohmaterial bzw. ungesendetem Material im SWR“ gibt, wonach als Grundregel gilt, dass Rechercheergebnisse, Beiträge oder O-Töne nur nach vorheriger Absprache mit der herstellenden Redaktion verwendet werden dürfen, wobei die Nutzung des Materials jedoch nur aus wichtigen Gründen, die im Leitfaden beispielhaft genannt werden, abgelehnt werden darf.

    Gerne überlasse ich Ihnen diesen Leitfaden in der Anlage (pdf) zu diesem Schreiben.

    Mit freundlichen Grüßen

    Peter Boudgoust
    ARD-Vorsitzender
    Südwestrundfunk

  3. Der Intendant des NDR, Lutz Marmor, erläutert in seinem Schreiben (pdf) die Haltung des NDR, der in einer Vereinbarung den fairen Austausch von Material und Informationen geregelt hat. Besonders weist der Intendant auf die Vorteile hin, die mit der Bündelung von Recherchen einhergeht.

Saarbrücker Erklärung

Erklärung der AGRA zu Digitalisierung und Vernetzung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Digitalisierung und Vernetzung stellen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten vor neue Herausforderungen. Die AGRA bekennt sich zu einer stärkeren Vernetzung von Fernsehen, Hörfunk und Multimedia. Ein Inseldenken einzelner Medien und Redaktionen ist im digitalen Zeitalter nicht mehr zeitgemäß. Die neue Technologie bringt, klug genutzt, Effizienz und stärkeres publizistisches Gewicht nicht nur für einzelne Formate, sondern für Sender als Ganzes.

Die Entwicklung erreicht eine neue Dimension, wenn Material über Produktionsserver vor der ersten Publikation unmittelbar für die Verwendung in anderen Medien und Formaten zur Verfügung steht. Arbeitsabläufe verändern sich. Neue Synergien werden möglich. Die AGRA, die Arbeitsgemeinschaft der Redakteursvertretungen bei ARD, ZDF und Deutschlandradio, warnt aber auch vor Gefahren für einen qualitätsbewussten Journalismus. Die Reflexion über einen verantwortungsbewussten Umgang mit den Möglichkeiten muss mit der technischen Entwicklung mithalten.

Die AGRA warnt vor einer fortschreitenden „Bearbeiterkultur“, in der aus Spargründen immer weniger Reporter recherchieren und Material beschaffen, das von immer mehr Bearbeiterpools weiter „formatiert“ wird. Diese Entwicklung geht auf Kosten von Kompetenz und journalistischer Vielfalt.

Beim Zugriff auf Material muss das Urheberrecht respektiert werden. Es gilt der Grundsatz: Urheber sind die besseren Bearbeiter. Besonders die Interessen der freien Mitarbeiter müssen beachtet werden.

Die AGRA fordert, dass besonders schützenswertes Material für den allgemeinen Zugriff gesperrt werden kann. Urheber sollten die Möglichkeit haben, bei der Erfassung ihres Materials Begleitnotizen beizufügen, wie etwa die Bitte um Benachrichtigung sowie wichtige Hinweise etwa zum Zusammenhang von Statements oder besonderen Vereinbarungen zum Sendetermin.

Eine Publikation von zentral vorliegendem Material ohne Absprache darf nicht erfolgen. Der Urheber muss informiert werden. Eine Vorabveröffentlichung setzt eine Vereinbarung zwischen den beteiligten Redaktionen voraus.

Ein verbindlicher Verhaltenskodex sollte zeitnah in allen öffentlich-rechtlichen Anstalten erarbeitet werden. Dies sollte im Dialog mit Personalräten und Redakteursvertretungen geschehen. Dabei soll auch nach Möglichkeiten gesucht werden, wie die Einhaltung des Kodex nachhaltig überwacht werden kann.

Das AGRA-Wiki

Die AGRA-Seite im Wiki ist folgendermaßen gegliedert

  1. Rolle in der Zivilgesellschaft
  2. Ziele der AGRA
  3. Gründungsprozess
  4. Öffentlich-rechtlicher Programmauftrag
  5. Sprecher der AGRA
  6. Veröffentlichungen
  7. Einzelnachweise
  8. Literatur
  9. Weblinks

Münchener Beschluss

Die Programmmitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben auf ihrer turnusmäßigen Tagung in München am 12. Mai 2009 von den Intendanten klar nachvollziehbare Strategien als Reaktion auf die immer knapper werdenden Finanzmittel eingefordert. An Stelle von oft willkürlich erscheinenden Maßnahmen müssen Konzepte mit Perspektive und Prioritäten treten; Einschnitte ins Programmangebot dürfen den öffentlich-rechtlichen Auftrag nicht angreifen.
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AGRA ist online!

Die Arbeitsgemeinschaft der Redakteursausschüsse (AGRA) ist eine Plattform, auf der sich die Redakteursvertreter von ARD, Deutschlandradio, DW und ZDF austauschen. Sie ist ein Zusammenschluss der journalistischen und künstlerischen Programmmitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands. Die Redakteursmitwirkung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat Verfassungsrang und ist in mehreren Bundesländern gesetzlich festgeschrieben.