Wir als AGRA, die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redaktionsausschüsse (ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutsche Welle), bestehend aus den gewählten Vertreterinnen und Vertretern aller programmgestaltenden Mitarbeitenden der Sendeanstalten, äußern uns hiermit zu den Plänen, die von der Rundfunkkommission der Länder Ende September zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorgelegt worden sind.
Grundsätzlich möchten wir vorausschicken, dass wir als Programmschaffende eine Reform als notwendig erachten. Wir müssen uns vor allem zwei Herausforderungen stellen: dem digitalen Medienwandel und der Notwendigkeit eines effizienteren Umgangs mit Ressourcen. Den angestrebten Zielen „Auftrag qualitativ stärken“, „Vertrauen stärken“ und „mehr Effizienz und Zusammenarbeit“ stehen wir deshalb positiv gegenüber.
Wir sehen aber in dem Entwurf keine zukunftsgerichtete, sondern eine in Großteilen rückwärtsgewandte Reform, die den Empfehlungen des extra dafür eingesetzten Zukunftsrats in wesentlichen Punkten widerspricht. Rundfunkfreiheit und journalistische Qualität werden aus unserer Sicht nicht hinreichend gesichert oder gar gestärkt. Wir vermissen wichtige Schritte der Politik, den demokratischen Diskurs vor der Machtkonzentration digitaler Konzerne zu schützen.
Unsere Hauptkritik: „Presseähnlichkeit“ und Sendungsbezug
Die geplante Reglementierung der öffentlich-rechtlichen Online-Angebote wie vorgesehen lehnen wir ab. Im vorliegenden Entwurf (§ 30 Telemedienangebote) sollen Veröffentlichungen von digitalen Texten nur dann erlaubt sein, wenn sie folgende Kriterien erfüllen: Aktualität, Sendungsbezug und das ursprüngliche Portal als Bezugspunkt.
1) Aktualität
Der im Entwurf beschriebene Vorschlag bedeutet, dass aktuelle Nachrichten auf unseren Online-Plattformen grundsätzlich mit Verzögerung erscheinen würden. Eine Ausnahme soll für „Breaking News“ gelten – aber auch dann wären nur kurze Schlagzeilen ohne weiteren Kontext erlaubt. Demnach müsste beispielsweise tagesschau.de auf die nächste Tagesschau-Ausgabe warten und dürfte die Inhalte erst nach der linearen Versendung digital als Textangebot publizieren. Die Vorgabe, dass die Online-Berichterstattung via Text oder auf Social Media erst nachträglich erfolgen darf, entspricht nicht dem Nutzungsverhalten. Die Menschen erwarten, dass sie ihre Informationen zeitnah über Kanäle bekommen, die sie auch nutzen. In der Konsequenz der Vorgabe hieße das, dass der ÖRR seine Nutzer und Nutzerinnen, insbesondere die junge Generation gar nicht mehr erreicht. So entstünde noch mehr Raum für Desinformation und Hetze.
Auch im öffentlich-rechtlichen Kernbereich der Regionalität ist das Online-Angebot heute wichtiger denn je, um den Nutzungsgewohnheiten der Menschen zu genügen. Wir sind der Auffassung, dass die im Entwurf geplante enge Auslegung den Zielen, alle Menschen mit verlässlichen Informationen zu beliefern, entgegensteht. Wir müssen als öffentlich-rechtlicher Rundfunk seriöse Berichterstattung in alle Regionen bringen.
2) Bezug zu eigener Sendung und sendungsbegleitende Veröffentlichung
Im Vertragsentwurf selbst ist die Überführung zahlreicher Angebote ins Digitale festgeschrieben, ebenso die Verpflichtung, Rezipientinnen und Rezipienten in Vielfalt und Vielzahl zu erreichen (*). Vor allem eine Verschärfung des sogenannten Sendungsbezugs steht aus unserer Sicht in klarem Widerspruch zu eben dieser Forderung und schränkt den öffentlich-rechtlichen Auftrag in eklatanter Weise ein. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss eine umfassende, schnelle und barrierefreie Berichterstattung mittels Online-Texten möglich sein – auch in den sozialen Medien. Das gleiche gilt für investigative Geschichten und Recherchen, die häufig nur dann wirkungsvoll sind, wenn sie online first und exklusiv veröffentlicht werden können.
(*) § 26a (1) Zur Erfüllung ihres Auftrags entwickeln die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihre Angebote stetig entlang gesellschaftlicher Bedarfe und konkreter Bedürfnisse der Nutzer fort. Hierzu setzen sie auf Innovationen, insbesondere in Technologie sowie bei Gestaltung und Verbreitung ihrer Angebote und entwickeln diese auch in Zusammenarbeit mit externen Partnern gemeinwohlorientiert fort.
3) Das ursprüngliche Programm gilt als Bezugspunkt
Die Politik verlangt von den öffentlich-rechtlichen Anstalten den verstärkten Austausch von journalistischen Inhalten, fordert aber gleichzeitig, dass der Bezug in Online-Artikeln zum eigenen Programm der jeweiligen Anstalt hergestellt werden muss. Das widerspricht sich aus unserer Sicht. Unter großer Anstrengung werden und wurden Kompetenzcenter aufgebaut, die Doppelstrukturen abbauen und Kosten einsparen sollen. Dafür wurden und werden eigene Sendungen oder Onlineangebote eingestellt oder zusammengeführt. Würde der Reformstaatsvertrag in seiner derzeitigen Fassung in Kraft treten, wären viele digitale Beiträge, deren Sendungsbezug nicht auf den eigenen Sendungen liegt, nicht mehr möglich.
Abschaffung von linearen Sendern und Wellen
Wir bezweifeln, dass beliebige Streichungen von Hörfunkwellen relevante Einsparungen erbringen, wie auch im KEF-Bericht vom 27. September 2024 ausgeführt. Uns fehlen konkrete Kriterien, die diese geplanten Abschaffungen rechtfertigen würden. Zudem bedeutet die Reduktion von Kanälen auch den Verlust von mühsam gewonnener Hörerschaft. Der Auftrag würde dadurch zwar quantitativ begrenzt, wir sehen hierin aber keine qualitative Stärkung, wie im Entwurf gefordert. Wir fordern, die Streichung von Sendern und Wellen an die Stärkung des öffentlich-rechtlichen Profils zu koppeln. Gerade kulturell, historisch, wissenschaftlich und gesellschaftlich relevante Themen finden in vielen Programmen ihr Publikum. Der Wegfall erfolgreicher Sender wäre ein Rückschritt, zumal sich digitale und lineare Angebote in diesen Fällen gegenseitig befeuern.
Finanzierung
Wir Programmschaffende fordern finanzielle Planungssicherheit: Wenn wir zukunftsgerichtet als öffentlich-rechtliche Anstalten arbeiten sollen, müssen wir auch auskömmlich finanziert sein. Wir kritisieren vehement, dass im Diskussionsentwurf dieser wesentliche Punkt überhaupt nicht behandelt wird. Wir erinnern in diesem Zusammenhang daran, dass es ein geordnetes Verfahren der Länder gibt, das die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks regelt. Dieses demokratisch legitimierte Verfahren gilt es einzuhalten, alles andere wäre ein Verfassungsbruch.
Mitwirkung der Programmschaffenden am Reformprozess
Mit Sorge sehen wir, dass die Debatte um die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Sender geprägt ist von parteipolitischen Interessen und einem sachfremden Sparwillen, der politisch opportun erscheint. Jenseits dieser Interessen erfüllen die öffentlich-rechtlichen Sender aber eine, auch durch das Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigte, zentrale Funktion in unserer demokratischen Gesellschaft.
Die AGRA fordert im Reformprozess eine deutlich stärkere Beteiligung und Berücksichtigung unserer Expertise. Die Mitwirkung der von Programmschaffenden gewählten Redaktionsausschüsse aller öffentlich-rechtlichen Sender ist unabdingbar, um die anstehenden Reformanstrengungen zielführend und zukunftssicher zu gestalten.
Hubert Krech, Gabi Probst, Alexandra Dietz
Sprecher*innen der AGRA
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AGRA – Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redaktionsausschüsse
Sprecher*innen: Hubert Krech (ZDF), Gabi Probst (RBB), Alexandra Dietz (SWR))
Kontakt: sprecher@agra-rundfunk.de – http://blog.agra-rundfunk.de
Die AGRA ist die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redaktionsausschüsse (ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutsche Welle). Die Redaktionsausschüsse sind jeweils gewählte Vertreter der Redakteurinnen und Redakteure und setzen sich für die innere und äußere Pressefreiheit ein. Die Redakteursmitwirkung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurde vom Bundesverfassungsgericht bestätigt und ist in mehreren Bundesländern gesetzlich festgeschrieben.