Journalisten und ihre Veröffentlichungen darf man kritisieren. Soll man sogar. Untereinander machen wir das dauernd, geradezu notorisch. Journalisten der Lüge, eines Irrtums oder mangelnder Objektivität zu überführen – das ist geradezu erwünscht. Denn: Kritik schmälert nicht die Pressefreiheit, sondern befördert sie.
Je pauschaler die Kritik, desto geringer fällt ihr Nutzwert aus. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hat sich am Wochenende ebenso kritisch wie pauschal zur Arbeit von uns Journalisten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geäußert. Damit diese Kritik fruchtbar werden kann, bittet die Arbeitsgemeinschaft der Redakteursausschüsse von ARD, ZDF und Deutschlandradio (AGRA) Herrn Seehofer, konkrete Fälle journalistischen Fehlverhaltens zu benennen. In der veröffentlichten Form können die Redakteursvertreter Horst Seehofers Kritik allerdings nicht nachvollziehen.
Gerade die Reporter öffentlich-rechtlicher Sender stellen sich mutig jeder Lebenswirklichkeit. Mit ihren Kamerateams berichten sie vom Bürgerkrieg in Syrien, von der Balkanroute, von der bayerischen Grenze und von Flüchtlingsunterkünften. Es sind Reporterteams von MDR und ZDF, die bei „Pegida“-Demonstrationen dabei sind: Dort erleben sie buchstäblich hautnah Beleidigungen, Schläge und Pfefferspray-Attacken. Welche „Lebenswirklichkeit“ Horst Seehofer dabei noch vermißt, ist der AGRA schleierhaft.
Extrem fragwürdig findet die AGRA Seehofers Kritik, dass die „persönliche Überzeugung der Autoren“ Maßstab der Berichterstattung sei. Es ist geradezu Berufspflicht ausgebildeter Journalisten, nur nach eigenem besten Wissen und Gewissen zu berichten. Nur was ein Reporter selbst erlebt hat oder sorgfältig recherchiert hat, darf Maßstab seiner Berichterstattung sein – und zwar unabhängig von jeder äußeren Beeinflussung. Diese „innere Pressefreiheit“ ist verfassungsrechtlich geschützt. Gegen den Pegida-Vorwurf der angeblich vom Staat gelenkten „Lügenpresse“ hilft nur, diese Unabhängigkeit der Journalisten noch zu stärken.
Ein wichtiges Instrument der inneren Pressefreiheit sind „Redaktionsstatute“, die es bei den meisten öffentlich-rechtlichen Sendern gibt, wenngleich nicht bei allen. Die AGRA bittet Horst Seehofer zu prüfen, ob er zur Stärkung des unabhängigen Journalismus beitragen möchte: Als bayerischer Ministerpräsident könnte er die Initiative ergreifen, um beim Bayerischen Rundfunk ein solches Redaktionsstatut zu verankern. Und als Mitglied im ZDF-Verwaltungsrat könnte er dort in gleicher Weise aktiv werden. Beide Sender haben noch keine Redaktionsstatute, die jedoch hilfreich wären für eine Berichterstattung, die sich unabhängig an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientiert.